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Gesellschaftliche Alternativen Jenseits Von Markt Und Geld / Peter Fleissner /
ABCDarium Solidarische Gesellschaft

 
Wie könnten wir gemeinsam eine solidarische Gesellschaft verwirklichen?

In diesem ABCDarium möchte ich Überlegungen vorstellen, wie wir konkret zu einer solidarischen Gesellschaft kommen könnten. Diese Orientierung linker Politik legt das Augenmerk weniger auf Wahlen und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Richtung einer sozialistischen Gesellschaft, als auf ein mittelfristig vielleicht wirksameres Netzwerk von Produktionsbetrieben.

Meine Anregung geht dahin, Schritt für Schritt ein solches Netzwerk zu schaffen, das nicht der kapitalistischen Betriebsweise unterworfen ist, sondern in der Lage ist, sich zunehmend von ihren undemokratischen und menschenverachtenden Methoden in Richtung auf Partizipation und menschlicher Würde abgrenzt.

Vorläufer: Klöster und Kibbuzim

Ähnlich wie die Klöster des Mittelalters nicht nur kulturelle, sondern auch wirtschaftliche Einheiten darstellten, die sowohl die physische und als auch psychische Reproduktion der Mitglieder sicherstellten, könnten alternative Wege überlegt werden, selbstorganisierte neue Institutionen zu schaffen, die sich selbst vervielfältigen können /1.

So würde sich eine Gesellschaft quasi von innen her verwandeln, wenn sie von einem sozialistischen, solidarischen und demokratischen Wertsystem durchdrungen sind, das attraktiv genug ist /2. Das Konzept orientiert auf neue praktische Lebenszusammenhänge, in denen menschliche Werte erfahrbar werden und die individuellen und sozialen Menschenrechte vorausgesetzt und erfüllbar sind. Auch die Einrichtung von Kibbuzim in Palästina stellte eine ähnlich orientierte Bewegung dar. Charakteristisch für sie ist der Aufbau einer Arbeits- und Lebenswelt in einer kulturell und wirtschaftlich anderen Umwelt als es den Vorstellungen der Europäer entsprach, die in Palästina einwanderten. Sowohl die Klöster als auch die Kibbuzim sind alternative Modelle, die in ihre traditionelle Umgebung neue Ziele, Praktiken und Wertsysteme einbringen.

In diesem Sinn sind alle selbstorganisierten Initiativen, Genossenschaften, Landkommunen, Tauschkreise oder die Gründung einer Demokratischen Bank verwandte Unternehmungen. Die hier vertretene Idee geht von einer Vernetzung von bereits vorhandenen unterschiedlichen Einrichtungen demokratischer Art aus, die zu einem kompletten Wirtschaftssystem weiterentwickelt werden, in dem möglichst viele Bedürfnisse über selbstproduzierte Güter und Dienste abgedeckt werden können.

Dabei sollte das Rad nicht nochmals erfunden werden. In einem längeren Entwicklungsprozess könnten Typen von bestehenden Institutionen identifiziert und/oder neue entworfen und entwickelt werden, mit denen sich eine Teilökonomie bzw. Teilgesellschaft sinnvoll gestalten ließe. Sie sollten mit modernen technischen (digitale Informations- und Kommunikationstechnologien, Solartechnologien), finanziellen und organisatorischen (siehe http://www.think2impact.org) Mitteln aufgebaut und zusammengeführt werden.

Wichtig wäre darüber hinaus, aus dem „linken Eck“ herauszukommen und neue Mitwirkende aus grünen, demokratischen, feministischen, religiösen, menschenrechts- und friedensbewegten Kreisen und einschlägigen BürgerInneninitiativen zu gewinnen.

Insbesondere wäre es interessant, bereits vorhandene selbstorganisierte Einrichtungen zu einem nachhaltigen Verbund zusammenzuschließen, in dem die Werte der Solidarität, Demokratie und Menschenwürde praktisch gelebt werden können. Damit könnte eine alternative Lebensform aufgebaut werden, die besonders dem isolierten und abgewerteten Leben von Arbeitslosen eine Perspektive bietet, aber auch organischen Intellektuellen (Gramsci) und anderen SympathisantInnen.

Inseln solidarischer Betriebsführung

Das Konzept, das ich mir vorstelle, würde zunächst Inseln solidarischer Betriebsführung umfassen, die über neu zu entwickelnde solidarische Austausch- und Beteiligungsformen zu einem funktionstüchtigen Archipel und schließlich zu einem Kontinent der Solidarität zusammenwachsen könnten.

Durch die Unterstützung einer derartigen Initiative könnte die politische Arbeit der KPÖ oder anderer einschlägiger Gruppierungen an Sichtbarkeit und Relevanz gewinnen. Theorie und Praxis wären gleichermaßen gefordert, Beiträge zu dieser Bewegung zu leisten.

Es kann gefragt werden, wieweit ein solches Herangehen nicht auch in anderen Ländern, in denen die Not zu neuen Institutionen geführt hat, wie z. B. in Griechenland gangbar wäre. Viele dort vorhandene Betriebe beruhen auf selbstloser Hilfe. Sie sind allerdings mit Selbstausbeutung verbunden und daher oft nicht langfristig lebensfähig. Um sie in nachhaltige Organisationen zu verwandeln, wäre eine innovative Eigentumsform nötig, die gemeinwirtschaftlich orientiert ist, die nicht zur Erzielung von betrieblichen Überschüssen verwendet werden muss und auch steuerlich begünstigt sein kann.

Zwei Hauptprobleme sind zu bedenken und genauer auszuarbeiten: Finanzierung und Governance.

Finanzierung

Bei der Finanzierung bieten sich verschiedene Möglichkeiten an: Eine derzeit modische Variante, deren Ergiebigkeit allerdings nur schwer eingeschätzt werden kann, wäre crowd financing. Dabei geht es um Spenden, die breit gestreut über das Internet eingeworben werden. Es kommt darauf an, wie stark der Wunsch nach Unterstützung dieser Bewegung in der Bevölkerung geworden ist und wieweit die Bevölkerung selbst über genügend finanzielle Mittel verfügt. Ist eine politische Gruppierung mit der Regierungsverantwortung betraut, wie es z. B. in Zukunft bei Syriza der Fall sein könnte, wäre auch die Einhebung eines befristeten Beitrags für die Schaffung neuer solidarischer Unternehmungen möglich.

Generell könnte auch eine Reichtums- oder Vermögensabgabe die nötigen finanziellen Mittel beschaffen (wie z. B. der Karl-Marx-Hof im Roten Wien unter Bürgermeister Seitz in den 1920er Jahren durch eine befristete und zweckgebundene Wohnbausteuer oder durch eine Steuer auf Luxusausgaben finanziert wurde). Auf diese Weise könnten gemeinwirtschaftliche (gemischt privat-gemeinschaftliche, genossenschaftliche oder kommunale bzw. staatliche) Betriebe errichtet werden, die einerseits Arbeitsplätze schaffen, andererseits wichtige Konsum-, Industriegüter bzw. Dienstleistungen erzeugen. Sie sollten per Gesetz nicht mehr den kapitalistischen Erwerbsformen unterworfen sein, sondern eine neue Form von Gemeineigentum begründen. Es wäre speziell zu überlegen, wieweit solche Betriebe Güter und Leistungen erzeugen sollten, die kostenlos verteilt würden und daher ohne Märkte auskommen könnten.

Um eine beständige Ausdehnung des Kreises der Betriebe möglich zu machen, sollten Teile der Überschüsse in die Gründung neuer Betriebe investiert werden.

Governance

Besonderes Augenmerk verdient die organisatorische Form der Betriebe. Um einigermaßen gleiche Augenhöhe zwischen ihren Mitgliedern herzustellen, wäre eine Begrenzung der Einkommensdifferenzen auf ein Verhältnis von 1 zu 2 bis maximal 1 zu 10 von Vorteil. Erfahrungen aus Jugoslawien zeigten, dass in den gemeinwirtschaftlichen Betrieben die Autorität der Betriebsführung untergraben wurde bzw. Selbstbedienung am Betriebsvermögen zu schwerwiegenden Schäden der Produktivität des Betriebes führte.

Sozialwissenschaftliche Studien wären erforderlich, um zunächst die einschlägigen Alternativbetriebe in Österreich und der EU zu identifizieren, zu kategorisieren und die Vor- und Nachteile der Arbeitsorganisation in diesen Betrieben zu analysieren. Derartige Studien könnten als Grundlage für eine Institution dienen, die generell Alternativbetriebe fördert und ihre Vernetzung sicherstellt (so wie es z. B. in Brasilien ein Staatssekretariat für solidarische Ökonomie unter der Leitung des in Wien gebürtigen Paul Singer gibt).

Interessant sind dabei auch Erfahrungen aus jüngster Zeit, die der südafrikanisch-australische Systemforscher Ockie Bosch mit softwareunterstützten Organisationsformen machte, die zum Teil von der Bill & Melinda Gates Foundation (http://www.gatesfoundation.org/de: Motto: „Wir sind der Meinung, dass jeder Mensch die Chance haben sollte, ein gesundes und produktives Leben zu führen“) finanziert wurden. Dabei wird ein ganzheitlicher systemischer Ansatz verwendet. Die Mitarbeitenden werden als gleichberechtigte ExpertInnen in eigener Sache aufgefasst. Es wird „Sozialkapital“ vermehrt, ein Ansatz, wie er auch von Ernst Gehmacher in Österreich in Schulen und Krankenhäusern mit Erfolg eingesetzt wird (siehe etwa http://www.zukunftburgenland.at/upload/Downloads/tagung/Gehmacher_Sk10115.pdf).

Internetplattformen könnten die Anwendung von kooperativen Managementformen erleichtern. Zentrales Grundprinzip des Managements in all diesen Einrichtungen ist die grundsätzliche Wertschätzung aller MitarbeiterInnen und ihre ökonomische und soziale Gleichstellung, verbunden mit permanenten Lern-, aber auch Einflussmöglichkeiten auf die Betriebsführung sowie mit einem permanenten Informationsfluss von unten nach oben wie von oben nach unten.

Ausblick

Diese Zeilen sind nur als eine erste Annäherung für ein konkretes Projekt zu verstehen. Erst in einem längerfristigen demokratischen, aber moderierten Diskussionsprozess, in dessen Verlauf einzelne schon funktionsfähige Beispiele vorgestellt werden, könnte man das Interesse an einer derartigen Initiative, ihren Inhalt und Umfang genauer bestimmen. Als eine mögliche, höchst demokratische und organisatorisch effektive Methode des Diskussionsprozesses empfiehlt sich die Methode „Foresight“ (im Gegensatz zu „Forecast“), wo alle Akteurinnen und Akteure nicht nur die Ziele und Mittel bestimmen, sondern auch direkt an der Realisierung aktiv mitwirken. Von der britischen Regierung wurde diese Methode bereits in den 1990er Jahren im Bereich von Technologie-Innovationen eingesetzt (http://britishlibrary.typepad.co.uk/patentsblog/2012/02/the-uk-governments-foresight-programme.html). Sie lässt sich aber auch mit Erfolg in regionalen Projekten anwenden.

Es läge daher an jedem von uns, am Aufbau einer solidarischen Gesellschaft mitzuwirken. Über einschlägige LeserInnenbriefe, die diesen Standpunkt vertiefen oder kritisieren, würde ich mich freuen.

Fußnoten

1/ Der niederländische Sozialreformer und Priester Joop Koopmans (1939-2011) hat in Brasilien ein durch Spenden aus Europa finanziertes landwirtschaftliches Entwicklungsprogramm ins Leben gerufen. In Form eines Schneeballsystems wurden die Erträge in die Finanzierung (vor allem Landkäufe) weiterer Farmprojekte gesteckt (siehe http://www.jkms.info/).

2/ Auch die Fokolar Bewegung ist in dieser Richtung unterwegs, siehe http://www.fokolare.at.

(C) Die Autoren changed: 26. September 2014