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Projekte / Widerstand Und Wille Widerstand und WilleVorarbeiten zu einer Revision des psychoanalytischen Konzepts unter Einbeziehung des Willensmoments Christian Christiansen Nov. 2010 1. Widerstand psychoanalytisch gedeutetWie allgemein bekannt, hat Widerstand in psychologischer Bedeutung seinen begrifflichen Geburtsort in der psychoanalytischen therapeutischen Praxis: als die Verweigerung des Bewusstwerdens des „pathogenen Materials“ (FREUD 1924b, 411), sprich: des Verdrängten. Im Folgenden soll nach einem kurzen Abriss der Psychoanalyse die Entwicklung der Theorie zum Widerstand an FREUD selbst und einem modernen Vertreter der Psychoanalyse gezeigt, Überlegungen zu ihrer Konsistenz angestellt und der Themenbezug zu dieser Arbeit verdeutlicht werden. 1.1 FREUDEine Auseinandersetzung mit FREUDs Widerstands-Konzept sollte dessen Einbettung in die Gesamttheorie berücksichtigen. Wir beginnen daher zunächst mit einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Etappen in der Entwicklung dieser Theorie. 1.1.1 Kurzer Abriss der PsychoanalyseDie Psychoanalyse als eine Theorie des Seelenlebens ist die „Mutter“-Disziplin aller später entstandenen tiefenpsychologischen Richtungen. Schon sie selbst ist in ihrem Kern nicht homogen. So werden etwa an FREUDs eigenem Lebenswerk zumindest drei Phasen der Entwicklung seiner Einsichten und Überlegungen zum psychischen Geschehen unterschieden. „Als erste Phase der Psychoanalyse kann man den Zeitraum ansetzen, der bei der Zusammenarbeit FREUDs mit BREUER beginnt und dessen Ende 1897 durch die Entdeckung FREUDs markiert wird, dass viele angebliche Erinnerungen an traumatische Erlebnisse, insbesondere Verführungen, von denen die hysterischen Patienten berichteten, in Wirklichkeit keine Erinnerungen an Realereignisse waren, sondern Schilderungen von Phantasien.“ (SANDLER 2001, 15) Noch in den mit BREUER gemeinsam verfassten »Studien über Hysterie« (FREUD 1895) gingen die beiden Autoren davon aus, die typischen Symptome neurotischer Patienten seien auf real erlebte traumatische Ereignisse zurückzuführen. „Es wurde eine ‚Affektladung’ postuliert, die durch das traumatische Erlebnis hervorgerufen sei, diese werde zusammen mit der Erinnerung an das traumatische Erlebnis aktiv vom Bewusstsein dissoziiert und könne durch Umwandlung in Symptome ihren Ausdruck finden. Auf diese Auffassung gründend bestand die Behandlung in unterschiedlichen Versuchen, den vergessenen Erinnerungen die Rückkehr ins Bewusstsein zu bahnen und zugleich eine Affektabfuhr in Form von Katharsis oder Abreaktion herbeizuführen.“ (SANDLER, a.a.O.) Aus der Sicht FREUDs war es eine epochemachende Entdeckung, die von den Patienten dargebrachten Erinnerungen als verschlüsselte Reinszenierungen unbewusster, verdrängter Triebregungen und Wunschvorstellungen zu verstehen. Mit dem Aufgeben der Trauma-Theorie der Neurose rückte daher das Unbewusste mit all seinen Strebungen ins Zentrum der theoretischen und therapeutischen Aufmerksamkeit. Die zweite Phase ist daher auch gekennzeichnet durch das so genannte topische Modell. Die Psyche wird als seelischer Apparat gefasst, dem ein (relativ kleiner) bewusster und ein umfangreicher unbewusster Bereich zugeordnet ist. Der unbewusste Bereich wurde von FREUD nochmals differenziert in das eigentlich Unbewusste (Ubw) als Ensemble aller Triebe und Triebregungen, die – wenn überhaupt – nur in zensierter oder entstellter Form ins Bewusstsein vordringen können sowie in das Vorbewusste (Vbw) als Zusammenfassung aller (kognitiven) Momente (Kenntnisse, Gedanken), die jederzeit vom Bewusstsein abrufbar sind und nicht den Gegenkräften der Verdrängung unterliegen. Das topische Modell ist wesentlich mitbestimmt vom kategorialen Rahmen, den FREUD in seiner Untersuchung zum Traum entwickelt hatte. »Die Traumdeutung« (FREUD 1900), im Jahr 1900 veröffentlicht, wurde von FREUD als seine größte wissenschaftliche Leistung angesehen. In dieser Phase kommt allen bewussten Vorgängen aus FREUDs Sicht eine geringe Bedeutung zu. Er selbst hält das Unbewusste aber auch noch in der dritten Phase für das „eigentlich Psychische“ (FREUD 1940, 144) Die dritte Phase ist erstaunlich spät in seinem wissenschaftlichen Leben anzusetzen, nämlich erst ab 1923 (zu diesem Zeitpunkt war FREUD immerhin schon im 67. Lebensjahr), als er in »Das Ich und das Es« (FREUD 1923) sein Strukturmodell der Psychoanalyse veröffentlichte. Es enthält die bekannten Kategorien des ES, des ICHs und des ÜBER-ICHs. Nach wie vor dominiert das Wollen (!) des ES. Die Neuerung liegt vor allem in der Entwicklung einer Ich-Psychologie, die der willentlich vermittelnden Instanz des ICHs größere Bedeutung beimisst als es im topischen Modell das Bewusstsein zugebilligt bekommt. „Die Rolle des Ichs wird nun als die eines Vermittlers, eines Problemlösers gesehen, der jederzeit und ständig mit den Anforderungen umgehen muss, die vom Es, vom Über-Ich und von der Außenwelt kommen. Um diese oft konflikthaften Anforderungen bewältigen zu können, muss das Ich manchmal die komplizierten Kompromisse eingehen, wobei diese Kompromisse letztlich zu Symptomen führen können, die zwar für die betreffende Person schmerzlich und belastend sein mögen, aber doch die bestmögliche Anpassung darstellen, die sie unter den gegebenen Umständen zu leisten vermag.“ (Sandler 2001, 20) Die Weiterentwicklung der ICH-Psychologie gilt auch als vierte Phase der Psychoanalyse und wurde in erster Linie von Schülern FREUDs zum Teil noch zu seinen Lebzeiten betrieben, allen voran FREUDs Tochter Anna. Ihre Arbeit »Das Ich und die Abwehrmechanismen« erschien bereits 1936 in englischer Sprache und zählt zu den klassischen Texten der Psychoanalyse. Ebenso wie sie war auch Heinz HARTMANNS »Ich-Psychologie und Anpassungsproblem« (1939) darum bemüht, die klinisch-therapeutische Sichtweise des Lehrmeisters um eine auf die Normalentwicklung der Individualität hin gerichtete Darstellung des psychischen Geschehens zu bereichern. ANNA FREUD ging es dabei vor allem um das „Hereinholen“ der Außenwelt ins Konzept der Abwehr. Hartmann betonte die konfliktfreie Sphäre des ICHs. In FREUDs eigenem Ansatz steht ja neben dem ärztlichen Aspekt die Entwicklung der Abwehrkräfte als Mittel der Konflikt-Lösung im Zentrum seiner wissenschaftlichen Überzeugung. Entscheidende Veränderungen erfuhr die ICH-psychologisch geprägte Psychoanalyse in den 60er Jahren durch Heinz KOHUTS »Selbst-Psychologie« (von FREUD abweichende Narzissmusauffassung) und schon zuvor durch das Neuverständnis der Objektbeziehung, insbesondere die Mutter-Kind-Interaktion (allen voran Melanie KLEIN, aber auch Edith JACOBSON, Hans LOEWALD, Otto KERNBERG u.v.a.). 1.1.2 FREUDs Widerstandskonzept(e)„WIDERSTAND“ als ABWEHR DER ERINNERUNG AN FRÜHKINDLICHE SEXUELLE ERLEBNISSE Es ist nicht überraschend, dass angesichts des mehrphasigen wissenschaftsgeschichtlichen Verlaufs, den das gesamte theoretische Konstrukt der Psychoanalyse, wie eben vorgestellt, nahm, auch das Konzept des Widerstands unterschiedliche Ursachenzuschreibungen, Interpretationen und Gewichtungen erfuhr. In FREUDs Kategorienbildung ist Widerstand von so eminenter Bedeutung, dass ihm im Gesamtregister der Gesammelten Werke acht Seiten (763 -770) gewidmet sind. Erstmals schlagend wird der Begriff in den von FREUD gemeinsam mit Josef BREUER verfassten Studien über Hysterie (FREUD 1895), die allgemein als die Geburtsstätte der Psychoanalyse gelten. BREUERS kathartisches Heilverfahren sollte mittels hypnotischer Technik nicht erinnerbare Symptomanlässe auffinden und durch das anschließende Abreagieren einst unterdrückter Affekte die Heilung vorantreiben. FREUDs Modifikation bestand darin, diese scheinbar vergessenen Symptombildungsanlässe durch die Technik der freien Assoziation im Wachbewusstsein der Patient(inn)en zu ergründen. Die Erinnerungslücken sollten, von den Symptomen ausgehend, gegen die sukzessiven Widerstände des Patienten dauerhaft aufgehoben werden. Aufgrund seiner therapeutischen Beobachtungen nahm FREUD an, hinter diesen Widerstandsphänomenen läge ein Vorgang an Abwehr oder Verdrängung. Dem Patienten unangenehme (sexuelle) Vorstellungen würden daran gehindert bewusst zu werden. Um die dabei entstehenden Affektmengen zu binden, entwickelten die Patienten die physischen Symptome der Hysterie und die psychischen der Zwangsneurose. Schon 1 Jahr nach der Veröffentlichung der Studien ist aus einem Brief an Wilhelm FLIEß ersichtlich, dass FREUD nicht mehr an tatsächlich stattgefundene Verführungen in der Kindheit glaubt . Seine Neurosenlehre befindet sich in einer Sackgasse. Es ist die Traumdeutung, die ihm nun behilflich ist, die Psychoanalyse zu einer allgemeinen psychologischen Theorie auszubauen. Mit der zur Klärung des Traumes notwendigen Annahme psychischer Instanzen in der Unterscheidung Bewusst-Vorbewusst einerseits, des Unbewussten andrerseits und der zwischen den beiden Systemen lokalisierten Zensurinstanz sind die Grundlagen zu einer Metatheorie geschaffen. Gleichzeitig ergeben sich mit dem Konzept vorbewusster und unbewusster Phantasien Modifizierungen für die Ätiologie von Neurosen. FREUD fasst den Begriff der Sexualität weiter, die nun „allgemein das Streben nach Lustgewinn aus Organfunktionen umschreibt.“ (KÖHLER 1995, 12) und durch die Verhaltensweisen des Kleinkinds in dessen psychosexuellen Entwicklung als Teil einer infantilen Sexualität begriffen werden. Widerstand wird nun durch die Zensurinstanz bewerkstelligt; er verhindert das Bewusstwerden regressiver Bedürfnisse, deren Triebenergie sich in (hysterischen) Symptomen abführt bzw. chiffriert im Sekundärprozess als „Abkömmlinge“ des Unbewussten dem Bewusstsein in entstellter Form (neurotisch) entgegentritt. So definiert sich nun der „WIDERSTAND“ als VERHINDERUNG DES BEWUSSTWERDENS REGRESSIVER BEDÜRFNISSE Seine umfangreichste Systematik in Hinblick auf die jeweilige Herkunft erhält der Widerstand in den Nachträgen zu FREUDs Schrift Hemmung, Symptom und Angst. Unter dem Titel MODIFIKATIONEN FRÜHER GEÄUSSERTER ANSICHTEN – a) Widerstand und Gegenbesetzung heißt es unter anderem: „ Bei weiterer Vertiefung merken wir […], dass wir fünf Arten des Widerstandes zu bekämpfen [sic!] haben, die von drei Seiten herstammen, nämlich vom Ich, vom Es und vom Über-Ich, wobei sich das Ich als die Quelle von drei in ihrer Dynamik unterschiedenen Formen erweist. Der erste dieser drei Ichwiderstände ist der […] Verdrängungswiderstand, über den am wenigsten Neues zu sagen ist. Von ihm sondert sich der Übertragungswiderstand, der von der gleichen Natur ist, aber in der Analyse andere und weit deutlichere Erscheinungen macht, da es ihm gelungen ist, eine Beziehung zur analytischen Situation oder zur Person des Analytikers herzustellen und somit eine Verdrängung, die bloß erinnert werden sollte, wieder wie frisch zu beleben. Auch ein Ichwiderstand, aber ganz anderer Natur, ist jener, der vom Krankheitsgewinn ausgeht und sich auf die Einbeziehung des Symptoms ins Ich gründet. Er entspricht dem Sträuben gegen den Verzicht auf eine Befriedigung oder Erleichterung. Die vierte Art des Widerstandes – der des Es – haben wir eben für die Notwendigkeit des Durcharbeitens verantwortlich gemacht. Der fünfte Widerstand, der des Über-Ichs, der zuletzt erkannte, dunkelste, aber nicht immer schwächste, scheint dem Schuldbewusstsein oder Strafbedürfnis zu entstammen; er widersetzt sich jedem Erfolg und demnach auch der Genesung durch Analyse. “ (FREUD, GW XIV, 192f.) Aus FREUDs Theorie der Verdrängung erfordert jene in ihrer Dynamik dauernden Aufwand, weil die kontinuierlichen Natur des (verdrängten) Triebs und seiner Quellen unentwegt Anforderungen an die Abwehrreaktion des Ichs stellt. Diese Aktion „ist es, die wir bei der therapeutischen Bemühung als Widerstand verspüren.“ (a.a.O., 189) Unentschieden innerhalb des therapeutischen Settings läuft das innerfreud’sche Duell zwischen - Widerstand des Patienten als Störung im Fortgang der Therapie, als gravierende Behinderung zur Klärung von Symptomen, die es zu bekämpfen gilt und - Widerstand als entscheidender Hinweis, der den Zugang zu den geheimen Quellen der Neurose, zum Verdrängten erst ermöglicht und darum der anamnestischen, differentialdiagnostischen und forschenden Bearbeitung bedarf. Wir sind hier im Zentrum der Themenstellung dieser Arbeit angelangt. Die Ambivalenz FREUDs ist gedoppelt. Sie trägt Merkmale seiner wissenschaftlichen Biographie einerseits und drückt zum andern seine Schwerpunktsetzung in den unterschiedlichen Phasen des Therapieverlaufs aus. Als er den Widerstand seiner Patienten erstmals bewusst zur Kenntnis nahm, war dies auf der heuristischen Ebene der wesentlichste Hinweis auf dahinter liegende negative Energien und die Initialzündung für seine Theorie der Verdrängung. Gleichwohl gingen seine von der therapeutischen Absicht getragenen Überlegungen sofort in die Richtung, den konstatierten Widerstand (möglichst rasch) zu: – hier das angemessenste Verbum zu finden, ohne eine Unterstellung zu begehen ist schwierig, ich wage es trotzdem: – zu brechen, in jedem Fall aber – in FREUDs eigenen Worten – zu bekämpfen. Die Chance, in der Bearbeitung des auftretenden Widerstands gemeinsam mit dem Patienten dessen Analyse mit einem viel größeren Angebot unbewusster Momente vorantreiben zu können, ist erst allmählich in FREUD gereift und wurde von ihm dann ja auch ergriffen. Dennoch wollte er auch später noch unter Einsatz aller erdenklichen Methoden den Widerstand auflösen. Nun mag man ja den Einwand geltend machen, die beiden Haltungen gegenüber dem Widerstand des Patienten seien einander nicht ausschließend. Letztlich diene ja auch die Bearbeitung der Auflösung und Beendigung des Widerstands. Dennoch bleibt ein Widerhaken: Die Schrift Hemmung, Symptom und Angst erschien immerhin Mitte der Zwanzigerjahre; und dennoch spricht FREUD trotz aller ätiologischen Differenzierung noch immer vom Bekämpfen des Widerstands, wie aus dem obigen Zitat (S. 32) ersichtlich. Welcher Stellenwert dem Widerstand in FREUDs Gesamtwerk beigemessen wird und welche Schwierigkeit damit verbunden ist, alle Nuancen und wohl auch Widersprüche des kategorialen Rahmens auszuloten, innerhalb dessen sich die Psychoanalyse mit diesem Begriff bewegt, davon zeugt die redaktionelle Arbeit Lilla VESZY-WAGNERs, die das Gesamtregister der GW (Bd. 18) zusammengestellt hat. Da ist zunächst mit „W. i. allgemeinen“ eine Spalte lang mit unterschiedlichsten Zuschreibungen und Antreffstellen „des“ Widerstands gefüllt; dann das „W. Bekämpfungs“-Szenario in anderthalb Spalten aufgelistet, wo von Aufhebung, Auflösung, Einschrumpfung, Lockerung, Schmelzen, Überwindung des Widerstands die Rede ist. Es folgen Stärke, Steigerung und Symptome, bevor das Alphabet endlich die Theorie auf bloß einer Drittel-Spalte ins Treffen zu führen gestatten kann. Dort wird die bekannteste Textstelle ausgewiesen, in der FREUD dem Widerstand seinen Stellenwert für die psychoanalytische Theorie einräumt: „ DIE GRUNDPFEILER DER PSYCHOANALYTISCHEN THEORIE. Die Annahme unbewusster seelischer Vorgänge, die Anerkennung der Lehre vom Widerstand und der Verdrängung, die Einschätzung der Sexualität und des Ödipus-Komplexes sind die Hauptinhalte der Psychoanalyse und die Grundlage ihrer Theorie, und wer sie nicht alle gutzuheißen vermag, sollte sich nicht zu den Psychoanalytikern zählen.“ („‚Psychoanalyse’ und ‚Libidotheorie’“ GW XIII, 223), Die zitierte Schrift wendet sich nicht nur an ein interessiertes Laienpublikum, sondern ist gleichzeitig als Abgrenzungspolemik gegen ADLER, JUNG und deren Gefolge geschrieben, wie man schon aus dem Zwischentitel der dem Zitat folgenden Textstelle („Weitere Schicksale der Psychoanalyse“) folgern darf. Das Gesamtregister setzt fort mit den Perspektiven des „W. als“ Vorgang, Erscheinung, Funktion und trifft dabei Zuordnungen wie Abwehr, dynamische Größe der Pathogenese, Ichfunktion, Konflikt, Schutz der Verdrängung. Fast zwei Spalten später rundet sich das Widerstandsbild auf zwei weiteren Seiten mit der Zufügung von Präpositionen ab: Widerstand durch …, Widerstand gegen …, Widerstand im…, Widerstand wegen …. Damit sollen Mittel, Zielobjekte, Orte und Gründe möglichen Widerstands angesprochen werden. 1.1.3 Kritische ErörterungFolgende wissenschaftstheoretische Fragestellung drängt sich auf: Wenn nach FREUD die Kategorie des Widerstands von so unbestrittener Bedeutung für Theorie wie therapeutische Praxis der Psychoanalyse sein soll, dass ihre Anerkennung sogar als Quasi-Schibboleth gegen Abtrünnige, in jedem Fall aber als der „Grundpfeiler“ der Seelenwissenschaft gilt, dann muss in der Vielfältigkeit der Phänomene, der Orte und Gründe ihres Antreffens, der Funktionen, die sie ausüben, der Deutungen, die sie gestatten usf., das Allgemeine klar und konsistent darstellbar sein, als dessen Besonderungen sie sich zeigen. Ansonsten läge eine Subsumtionsbestimmung von großer Beliebigkeit vor, die sich ihr gemeinsames Moment erschwindelte, völlig unterschiedlichen Phänomenen den selben Namen gäbe und sich die Rechtfertigung mit dem Hinweis auf den romantischen Staub der Oberfläche der Erscheinungen gestattete. Ziehen wir uns FREUDs explizite Definition des Widerstands, wie wir sie bereits vorgestellt haben, nochmals in ihrem breiteren Kontext heran. In "Das Ich und das Es" heißt es: „Wir sind […] zum Terminus oder Begriff des Unbewussten […] gekommen, durch Verarbeitung von Erfahrungen, in denen die seelische Dynamik eine Rolle spielt. Wir haben erfahren, das heißt annehmen müssen, dass es sehr starke seelische Vorgänge oder Vorstellungen gibt, […] die alle Folgen für das Seelenleben haben können wie sonstige Vorstellungen, auch solche Folgen, die wiederum als Vorstellungen bewusst werden können, nur werden sie selbst nicht bewusst. […] An dieser Stelle setzt die psychoanalytische Theorie ein und behauptet, dass solche Vorstellungen nicht bewusst sein können, weil eine gewisse Kraft sich dem widersetzt. […] Diese Theorie wird dadurch unwiderleglich, dass sich in der psychoanalytischen Technik Mittel gefunden haben, mit deren Hilfe man die widerstrebende Kraft aufheben und die betreffenden Vorstellungen bewusst machen kann. Den Zustand, in dem diese sich vor der Bewusstmachung befanden, heißen wir Verdrängung, und die Kraft, welche die Verdrängung herbeigeführt und aufrecht gehalten hat, behaupten wir während der analytischen Arbeit als Widerstand zu verspüren.“ (GW XIII, 240f.) und in Hemmung, Symptom und Angst: „ Es ist ein wichtiges Stück der Theorie der Verdrängung, dass sie nicht einen einmaligen Vorgang darstellt, sondern einen dauernden Aufwand erfordert. Wenn dieser entfiele, würde der verdrängte Trieb, der kontinuierlich Zuflüsse aus seinen Quellen erhält, ein nächstes Mal denselben Weg einschlagen, von dem er abgedrängt wurde, die Verdrängung würde um ihren Erfolg gebracht oder sie müsste unbestimmt oft wiederholt werden. So folgt aus der kontinuierlichen Natur des Triebes die Anforderung an das Ich, seine Abwehraktion durch einen Daueraufwand zu versichern. Diese Aktion zum Schutz der Verdrängung ist es, die wir bei der therapeutischen Bemühung als Widerstand verspüren. (GW XIV, 189) Wessen Werk nun ist dieses, einmal „Kraft“, das andere Mal „Aktion“ genannte Widerstandsmoment? Wer ist der Täter? Wir erfahren, dass – ähnlich wie im „Mord im Orientexpress“ – alle in Frage kommenden Instanzen als Täter, als Widerstandsverursacher fungieren. Gleich dreifach das ICH: Es ist der eigentliche Akteur der Verdrängung seelisch unerwünschter Vorstellungen, die ins Bewusstsein drängen; es ist darüber hinaus der Widersetzer gegen das Bewusstmachen dieser Verdrängung durch den Therapeuten; und es ist drittens so wohlig eingehaust in seinem krankmachenden Verdrängungsnest, dass es daraus nicht flüchten will. Und obwohl es das ICH ist, sind es gleichwohl unbewusste Teile in/an ihm, die all das ins Werk setzten. Dann das ES: Kaum hat das ICH ihn aufgegeben, – dank der Durcharbeitungskompetenz des Therapeuten – schon schlägt das Unbewusste wiederholungszwänglerisch zu und generiert erneuten Widerstand wegen der Attraktion, die die unbewussten Vorbilder auf die verdrängten Triebaktionen erzeugten . Und dann gar noch das ÜBER-ICH, dessen Widerstandskapazität, gespeist aus Schuldbewusstsein oder Strafbedürfnis, von solcher dunkler und kaum diagnostizierbarer Kraft ist, dass sich diese jedem Therapieerfolg verhindernd in den Weg stellt. Wie, so meine Frage, kann jedes Mal vom selben Widerstand die Rede sein, wenn die Protagonisten desselben verschieden sind, ebenso die Gründe, die sie zu ihrem jeweiligen Tun veranlassten sowie die Intentionen, die sie setzen? Nicht einmal in energetischen Metaphern ausgedrückt, wird die Identität schlüssig. Die Kraft, die das Ich einsetzt, bestimmten Vorstellungen den Weg zur Bewusstwerdung zu blockieren, kann nicht dieselbe des ES sein, nachdem in FREUDs eigenen Worten der Ichwiderstand gerade überwunden worden sein soll; ebenso mit dem Über-Ich, dessen Kapazitäten ohnehin selbst dem Begründer der Psychoanalyse obskur erscheinen. Die einzige Gemeinsamkeit liegt also offenkundig nicht im Widerstand leistenden Patienten. Sie liegt im analogen Erleben der „Widerständigkeit des Patienten“ durch den Therapeuten und dessen therapeutisches Konzept . Ein Vorschlag zu des Rätsels Lösung: Der FREUDschen Theorie fehlt letztendlich die integrative Instanz, die über alle Fährnisse lebensgeschichtlicher wie situativer Provenienz hinweg bei aller zugestandenen Dynamik so etwas wie einen ruhenden Pol der Identität setzte. Und sie fehlt, weil dem ICH in all seinen von FREUD so klug, subtil und differenziert dargestellten Anforderungen, Zumutungen und Abwehrkräften die wesentliche Mitte abhanden gekommen ist: der (freie) Wille . „Abhanden gekommen“ ist dabei nicht wirklich korrekt ausgedrückt. Es ist radikaler. FREUD bestreitet explizit dessen Vorhandensein ebenso wie die meisten seiner Adepten und erklärt ihn zu einer Illusion. Worin er sich allerdings von modernen Vertretern der Willensbestreitung unterscheidet, ist, wie wir gleich sehen werden, ein dem objektivitätsfeindlichen und alles relativierenden Zeitgeist entgegengesetztes und daher ungewöhnliches Argument. Wenn man etwa im Register der Arbeit „Die Grundbegriffe der psychoanalytischen Therapie“ (SANDLER 2001) auf Seite 250 blättert, findet man dort über 50 Verweise auf Textstellen zum Widerstand, was uns nach der bisherigen Lektüre nicht wundern wird. Nach Wiederholung und Wiederholungszwang findet der Borderlinespezialist Willick Erwähnung. Der alphabetisch dazwischen liegende Wille kommt nicht vor. In Charles BRENNERS berühmtem Klassiker „Grundzüge der Psychoanalyse“ sind Wiedergutmachung und Witz die alphabetischen Klammern, zwischen denen der Wille nicht erscheint (Brenner 1983, 239). Ähnliche Erfahrungen haben GÖDDE und HEGENER in ihrem Beitrag „Zur Bedeutung des Willens in Psychoanalyse und Psychotherapie“ (Petzold 2004, 203f.) beim Durchforsten der Primärliteratur beschrieben. „Sucht man in FREUDs Gesammelten Werken nach Textstellen, in denen der Willensbegriff explizit verwendet wird, so wird man keine große Ausbeute erzielen […] In den Anfängen der Psychoanalyse hat sich FREUD erstmals im Rahmen der Hysterieforschung bestimmten Willensphänomenen gewidmet. […] In diesem klinischen Kontext ist von Willenshemmungen und Willensschwäche, von der Machtlosigkeit des Willens und der Wirksamkeit eines ‚Gegenwillens’, ja von ‚Willensperversion’ die Rede […] Ausgehend von der Leitfrage nach der psychischen Dynamik, die dem rätselhaften Gegenwillen hysterischer Patienten zugrunde liege, gelangte FREUD zu den für seine Neurosentheorie maßgeblichen Kriterien von Abwehr, Verdrängung und Widerstand und damit zur Annahme eines dynamischen Unbewussten.“ (a.a.O.) Was nach FREUD als (freier) Wille erscheint, ist (in Wirklichkeit) Resultat vieler (unbewusster) Triebmotive, Wunschvorstellungen, Phantasien und deren meist selbst wieder unbewusst bewirkten Entstellungen bzw. Veränderungen und Kompromissbildungen seitens der ICH-Anteile. Die Botschaft, die FREUD letztlich verkündet, lautet in einem Bild von ihm selbst, dass „der Mensch nicht mehr Herr im eigenen Haus“ ist (FREUD 1917, 11). Wie sehr sich die Absage an die Freiheit des Willens, der Glaube an seine absolute Determiniertheit in der wissenschaftstheoretischen Grundeinstellung FREUDs wiederfindet, macht er in einer Bemerkung in seinen »Vorlesungen« im Abschnitt über die »Fehlleistungen« klar: „Wenn jemand so den natürlichen Determinismus an einer einzigen Stelle durchbricht, hat er die ganze wissenschaftliche Weltanschauung über den Haufen geworfen.“ (FREUD 1916-17, 21) An einer anderen Stelle der Vorlesungen wendet sich FREUD direkt an einen imaginären Vertreter der Willensfreiheit im Auditorium. Man merkt ihm den Ärger an, wenn er eine Analogie zur Naturwissenschaft bringt, indem er einleitend sagt: „Es ist merkwürdig, wie wenig Respekt Sie im Grunde vor einer psychischen Tatsache haben!“ (a.a.O., 42) und vergleicht letztere mit der chemischen Analyse einer Verbindung und der quantitativen Bestimmung des Gewichts ihrer stofflichen Anteile, wo niemand auf die Idee käme zu sagen, der und der Stoff hätte doch auch ein anderes Gewicht haben können. In Fragen der Willensfreiheit hingegen gilt es als Argument, Ideen oder auch Fehlleistungen einer Person als zufällig, als eben will-kürlich zu fassen und zu behaupten, sie hätten jederzeit auch anders beschaffen sein können. Zum (illusorischen) Gefühl der Willensfreiheit hat FREUD schon in der »Psychopathologie des Alltagslebens« Stellung genommen. Im Unterabschnitt XII, in dem er Gesichtspunkte des Determinismus, Zufalls- und Aberglauben darstellt, heißt es dazu u.a.: „Gegen die Annahme eines durchgehenden psychischen Determinismus berufen sich bekanntlich viele Personen auf ein besonderes Überzeugungsgefühl für die Existenz eines freien Willens. Dieses Überzeugungsgefühl besteht und weicht auch dem Glauben an den Determinismus nicht. Es muss wie alle normalen Gefühle durch irgend etwas berechtigt sein. … Nach unseren Analysen braucht man das Recht des Überzeugungsgefühls vom freien Willen nicht zu bestreiten. Führt man die Unterscheidung der Motivierung aus dem Bewussten von der Motivierung aus dem Unbewussten ein, so berichtet uns das Überzeugungsgefühl, dass die bewusste Motivierung sich nicht auf alle unsere motorischen Entscheidungen erstreckt. … Was aber so von der einen Seite freigelassen wird, das empfängt seine Motivierung von anderer Seite, aus dem Unbewussten und so ist die Determinierung im Psychischen doch lückenlos durchgeführt. “ (FREUD 1901, 282f.) Mit dieser ad-hoc-These ist die Willensfreiheit elegant eliminiert. In den »Vorlesungen. Neue Folge« hat der späte FREUD das Verhältnis von ICH und ES in dem Bild des Reiters (ICH), der ein (störrisches) Pferd (ES) zu lenken und zu zügeln hat, gefasst und damit dem (bewussten) Willen einerseits ein wenig mehr Platz eingeräumt, gleichzeitig aber damit sowohl das Energiemodell des Unbewussten beibehalten als auch mit dem ironischen Hinweis, wie oft ein (ungeübter) Reiter dem Willen des Pferdes folgen muss, die ICH-„Herrschaft“ wieder relativiert. Eine grundsätzliche wissenschaftstheoretische Kritik dieses Ansatzes ist hier nicht möglich. Aus meiner Sicht verwechselt FREUD Explikation mit Kausalität, Freiheit mit indeterministischem Chaos und will nicht verstehen, dass das organische Substrat unserer neurophysiologischen Ausstattung gerade die materielle Basis der Betätigung unserer Willensfreiheit ist. Die unerbittliche Notwendigkeit von Ursache-Wirkungszusammenhängen in der Naturwissenschaft ist ein anderes Feld als etwa das Erklären zielgerichteter Handlungsabläufe und (motivierter) Intentionen. Abschließend ist zu der nicht nur bei FREUD anzutreffenden Bestreitung der Willensfreiheit in sehr vielen psychologischen und psychotherapeutischen Schulen der Hinweis auf eine immanente Paradoxie fällig: Je determinierter psychische Phänomene in all ihren Verlaufsformen bis hin zu Charakterbildung und Lebensentwürfen theoretisch bestimmt werden, desto sinnloser bzw. inkonsistenter erscheint mir eine auf solchen Theorien basierende therapeutisch-beratende Praxis zu sein. Alles, was als Hilfestellung von beratenden Instanzen ins Werk gesetzt werden kann, lebt ja vor allem vom Gedanken, schädigende Einstellungen, Haltungen, Muster, Kommunikationen oder auch das Umfeld ändern zu können. Die Änderungsmöglichkeit wiederum ist ohne Wahlmöglichkeit derer, denen geholfen werden soll, schwer vorstellbar . Diese wiederum ist nichts anderes als eben die Freiheit, die ein mit Verstand und Wille begabtes Individuum hat, sich für eine von gegebenen Alternativen zu entscheiden. Im Begriff der Will-Kür drückt sich das noch einmal, wenn auch mit pejorativer Konnotation, aus. Sobald aber der Wille mit seiner Freiheit theoretisch verstanden und praktisch ins Zentrum des therapeutischen wie beraterischen Settings gerückt wird, erhält auch der Widerstand endlich seine objektive kategoriale Bedeutung in dem von mir schon dargestellten Sinn (s. S. 27), nämlich als das dem Willen zur Ausübung seiner Wahlfreiheit gegebene notwendige Beharrungsvermögen, welches im Entscheidungsfall einer dargebotenen Möglichkeit eine Absage erteilen kann. Was bleibt nach dieser Kritik vom psychoanalytischen Theorem übrig? Ich meine: wesentliche Bestimmungen, aber in einen konsistenteren Rahmen gesetzt. Indem wir dem Ich seine autonome Stellung (wieder) einräumen, fügen sich viele begriffliche Zersplitterungen erneut zu einem Gesamtbild der Persönlichkeit. Weder gilt es dabei, das Unbewusste oder etwa das Phänomen der Verdrängung zu bestreiten noch soll behauptet werden, dass die sich betätigende Subjektivität in all ihrer Wahlfreiheit nicht allzu oft mächtigen äußeren wie inneren Imponderabilien ausgeliefert ist, die jene einschränken. Schönfärberei ist nicht angesagt. Die enttabuisierende Absicht der FREUDschen Analyse bleibt erhalten. Eine neue Psychologie mit wissenschaftlichem Anspruch, die das Willensmoment in sein Recht rückt und damit auch den Widerstand objektiviert, könnte sich durchaus an vielen Bestimmungsstücken der FREUDschen Theorie positiv abarbeiten, gleichzeitig aber den veralteten Wust (etwa des Triebmodells als eines unter Druck stehenden Dampfkessels) abwerfen, der in überholten neurophysiologischen Annahmen des ausgehenden 19. Jahrhunderts gründet. Nicht triebbeladene Objektbesetzungen und Gegenbesetzungen halb- oder unbewusster Instanzen sind die Pointe jener Phänomene, die dem Therapeuten als Widerstand des Patienten, dem Berater als Widerstand des Ratsuchenden entgegentreten, sondern als Verhaltensmuster fixierte Resultate getroffener Willensentscheidungen, die sich vom reflektierten Ausgangspunkt emanzipiert haben . Wie das Denken in seinen Subsumtionstechniken, so ist auch das Handeln in seinen Willensbestimmungen auf weitestgehende Ökonomie seines Mitteleinsatzes bedacht. Unvertrauten Situationen, die Entscheidungen abverlangen, wird in Analogie zu bereits getroffenen Entscheidungen begegnet, sprich: es wird nach bereits etablierten Mustern entschieden. Diese oft automatisierten Entscheidungsreaktionen treten im Regelfall so wenig ins Bewusstsein wie unsere erlernten Bewegungsabläufe , gleichwohl sind sie wie diese Akte unseres Willens und können nach Maßgabe äußerer Notwendigkeit oder Anstöße reflektiert, d.h. ins Bewusstsein gebracht werden. Dass bei diesem Vergegenwärtigen von getroffenen Entscheidungen wie von Gedanken und Vorstellungen, die jenen vorausgingen, sie begleiteten oder ihnen folgten, bisweilen „das deutliche Gefühl einer Abwehr, die bewältigt werden muss“ (Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewussten GW VIII, 435) zu verspüren ist, ist unbestritten. Das wird wohl an dem Inhalt solcher Vorstellungen usw. und den Emotionen, die mit ihnen verbunden sind, liegen, denen sich das Subjekt beizeiten nicht gerne stellt. FREUD hingegen sieht hier einen Beweis für sein Dogma, dass grundsätzlich jeder „psychische Akt […] als unbewusster [beginnt] oder […] entweder so bleiben oder sich weiter entwickelnd zum Bewusstsein fortschreiten [kann,] je nachdem, ob er auf Widerstand trifft oder nicht “ (a.a.O. 436). Hier macht FREUD den Unterschied zwischen Vorbewusstem und Unbewussten auf. Was zwar – wie ja offensichtlich „alles“ – unbewusst begann, aber mehr oder minder problemlos ins Bewusstsein gerufen werden kann, ist vorbewusst. Wo das nicht oder eben nur unter großer psychischen Anstrengung, die in der Therapie als Widerstand des Patienten erlebt wird, möglich wird, ist nach FREUD die Grenzlinie zum Unbewussten gezogen. Eine rationale Psychologie hätte dieses Dogma zu widerlegen und den Nachweis zu erbringen, dass die von FREUD beschriebene „Anstrengung“ gerade im Gegenteil gründet: Die verausgabte Willenskraft, bestimmte (zunächst bewusste) Inhalte „aus guten Gründen“ zu verdrängen, bedarf starker entgegengesetzter Impulse und Entscheidungsgrundlagen für den Richtungswechsel hin zum Bewusstsein. 2. DefinitionssplitterDas naturwissenschaftliche Konzept des Widerstands definiert Widerstand als Trägheitsmoment der Masse, als deren Beharrungsvermögen gegen Veränderung des jeweiligen Bewegungszustands bzw. der Bewegungsrichtung. Überträgt man diese Sicht metaphorisch auf die psychologische Ebene, dann lässt sich Widerstand als das Beharrungsvermögen des Willens eines Individuums gegen Zustandsveränderungen seines (jeweils gerade erreichten) psychodynamischen Äquilibriums fassen. In dieser von mir vorgeschlagenen Fassung der Widerstandsdefinition werden m.E. alle interpretatorischen Momente weitestgehend vermieden. Der Widerstand erscheint hier als eine anthropologische Grundkonstante, als ein dem Willen selbst immanentes Bestimmungsmoment. Die Definition hält sich offen für alle weiteren Erklärungs- und Deutungsversuche der jeweiligen Herkunft und Funktion einer widerständigen Willensäußerung. Außerdem wird deren Bewertung vermieden und den Konzeptionen der diversen Schulrichtungen überantwortet. Ausgehend von dieser Definition ist auch stringenter nachzuvollziehen, worin Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen psychologischen Richtungen liegen. Die Schwierigkeit allerdings, diese Definition allgemein zugrundezulegen, beruht – um es in sich paradox zu formulieren – in dem Un-Willen vieler psychologischer und therapeutischer Richtungen, eine Bestimmung des Willens sans phrase schulenübergreifend vorzunehmen. Sie fassen ihn entweder als „Illusion“, bestreiten damit seine „Freiheit“; sie reduzieren ihn auf seine neurophysiologische Basis ; oder sie weichen in interpretatorische Umformulierungen wie „Handlungskontrolle“ und „Eigenverantwortung“ u.ä. aus. 3 Die Kategorie WiderstandWorin unterscheidet sich aus epistemologischer Sicht die Kategorie vom Phänomen? Anders als in der Kategorie wird im Phänomen zunächst ohne Anspruch auf Erklärung in einem deskriptiven Begriff ein Erscheinungsmoment der Wirklichkeit gefasst. Wie weit es sich dabei um eine Realabstraktion oder bloß um einen der Sache äußerlichen Subsumtionsbegriff handelt, ist immer von Fall zu Fall zu entscheiden. Diese Entscheidung trifft man, indem nachgeforscht wird, inwieweit die Subsumtion beliebiger Elemente der Wirklichkeit unter diesen Begriff tatsächlich wesentliche Gemeinsamkeiten trifft oder nur einem die Oberfläche der Erscheinung wahrnehmenden Ordnungswunsch genügt. Im Fall des Widerstands liegt im Phänomen eine Realabstraktion vor. Es lässt sich der Widerstand als Wesensmoment des Willens bestimmen. Dessen Darstellung kann nicht Thema dieser Arbeit sein, ohne deren Rahmen zu sprengen. Doch kann der Grundgedanke kurz umrissen und darin die kategoriale Bestimmung des Willens angedacht werden. Von Wille kann sinnvoll nur dort und dann gesprochen werden, wenn die integrative Repräsentanz aller bewussten ICH-Anteile eines verstandesbegabten Individuums die Prätentionen, Wünsche, Absichten, Zielsetzungen des Alltags wie der Lebensentwürfe mit allen dabei einhergehenden Emotionen unter den Gesichtpunkten des Vorstellens, Planens und aller dafür erforderlichen Handlungsdurchführungen frei entwickeln und autonom (d.h. nach Maßgabe der eigenen Disposition) wählen und gegebenenfalls von den gefassten Willensinhalten auch Abstand nehmen kann entsprechend der Einsicht in Situationen, Handlungsfolgen und unter Berücksichtigung integrierter, vom Individuum anerkannter Normen. Wegen seiner weitgehend substantiellen Dichte gestatte ich mir hier ein etwas überlanges Zitat aus dem Brockhaus, wo der Begriff des Willen im ersten Teil des Artikels wie folgt formuliert wird: „Wille, lat. voluntas, Bez. für die Fähigkeit eines Akteurs (eines Handelnden), sich überlegtermaßen Ziele zu setzen, diese auszuführen und sie planmäßig und beharrlich zu verfolgen. Im Verlauf seiner komplexen Begriffs- und Theoriegeschichte steht der Ausdruck W. für mindestens drei Teilaspekte: für ein rationales Strebevermögen; insofern ist vom W innerhalb der Debatte um Handlungsmotive, Impulse, Begierden oder Wünsche und um die Rationalität oder Irrationalität von Zwecken und Handlungszielen die Rede; für die Fähigkeit, eine Entscheidung zw. Optionen vorzunehmen; insofern erscheint der Ausdruck in Diskussionen um Freiheit oder Determinismus, um Absichtlichkeit und Zurechenbarkeit; für ein psych. Antriebspotenzial; insofern findet er Verwendung in (moral)psycholog. Diskussionen um W.-Kraft, W.-Stärke und W-Schwäche. 1) Bes. in der antiken Philosophie fasste man den W. als ein rationales Strebevermögen auf. So gesehen ist der W. das, wonach ein Akteur vernünftigerweise strebt. Eine Neigung, die jemand in sich wahrnimmt (z.B. »Nach allen Strapazen des Tages will ich mich nur noch schlafen legen«), ließe sich demnach nur dann als W. bezeichnen, wenn sie als vernünftig anzusehen wäre. 2) Versteht man unter W. die Fähigkeit, eine Kausalreihe in Gang zu setzen (Spontaneität des W.), so kommt es zum Problem der → Willensfreiheit. Hier stellt sich die Frage, wie man sich den Übergang von einem mentalen Vorgang zu einem Ereignis in der Außenwelt erklären kann und ob das mentale Geschehen durch das überlegende und wählende Subjekt beeinflussbar und steuerbar ist. Der W.-Begriff unterstellt, dass die frag!. Fähigkeit durch keine der zur Wahl stehenden Optionen und durch keine inneren Determinanten (Instinkt, Trieb, Sozialisation, Charakter) vollständig determiniert wird. Im W.-Akt spielen zwar naturale. soziale und charakterl. Tendenzen und Dispositionen eine wichtige, vielleicht sogar dominante, aber keine determinierende Rolle.
3) Daneben ist der W.-Akt wesentlich von psych. Antriebsenergie, z. B. durch Wünsche, Begierden oder Emotionen, geprägt. Das motivierende und das affektive Element unterliegen dem kognitiv-deliberativen (rational abwägenden) Element, aber in dem Sinn, dass selbst eine Entscheidung für ein Triebziel oder eine Entscheidung aus Affekt als bewusst getroffen gelten müssen. Der W.-Begriff steht nicht nur für den Entscheidungsakt, sondern zusätzlich auch für das Festhalten an einer bewussten Entscheidung, sodass man Unbeherrschtheit oder Handeln wider bessere Einsicht auch als W.-Schwäche bezeichnen kann.“
(vgl. Fn. 12, a.a.O., 104f.) Der Wille als dieses der Rationalität unterworfene Strebevermögen, das Entscheidungen treffen kann, bedarf aus Gründen der Wahlfreiheit und Lenkung zwingend neben dem positiven Potenzial des Antriebs auch die negativ wirkende Kraft der Beharrung. Nichts anderes als dieses Kraftmoment ist der Widerstand in seiner kategorialen Bedeutung. Was dabei als Willensstärke mit ihren unterschiedlichen Graden erscheint, ist in Wirklichkeit die Resultante aus diesen beiden Kraftmomenten sowie weiteren Einflussgrößen in ihrer jeweils aktualen Sollizitation. So ist etwa „willensschwach“, wer im bewussten Akt einer willentlichen Entscheidung die Spontaneität des Antriebspotenzials nicht durch das einsichtsvolle Abwägen, das ihm das Beharrungsvermögen gestattete, abfedern lässt. Damit soll klargestellt werden, dass der Wille selbst keine skalare Größe mit graduellen Abstufungen ist, sondern eine condition humaine, ein grundsätzliches Vermögen, dessen Einsatz jeweils unterschiedlichen Förderungen und Hindernissen unterliegt. Was also die Kategorie vom Phänomen scheidet, ist auf der ontologischen Ebene das Verhältnis von Wesen und Erscheinung, auf der epistemologischen das von explikativen zu deskriptiven Begriffen. Da nun die Explikation im Kontext „interagierender Willensaggregate“, wie sich das gesamte Zuwendungsfeld beratender wie therapeutischer Provenienz etwas derb zusammenfassen lässt, für sich nicht den Objektivitätsanspruch der klassischen Naturwissenschaft beanspruchen kann, ergeben sich die vielen Variationen hermeneutischer Muster auf diesem Feld. Gerade sie sind in ihrer Vielfältigkeit Ausdruck des freien Umgangs freier Willensträger miteinander. Das sollte nicht mit pluralistischer Meinungsbeliebigkeit verwechselt werden. Erst auf dem Hintergrund des Wissens um objektiv der Subjektivität zugrundeliegenden Momente wie Verstand, Empfindung, Wille entsteht die Deutungsfreiheit im Akt der Zuwendung.
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(C) Die Autoren | changed: 13. Juni 2012 |